Es klopft. Niemand öffnet. Es klopft erneut.
Wir befinden uns im 8. Stock eines Bürogebäudes und das
Geräusch verwundert wegen seines Ursprungs. Normaler Weise assoziiert man doch
ein Klopfen mit Kollegen, die Einlass begehren. Dann kommt es aus Richtung der
Tür. Dieses aber kommt vom Fenster. Ein Schnabel hinterlässt Spuren an der
Scheibe, sein Besitzer macht deutlich auf sich aufmerksam. Wie sonst Kinderhände
an Glastüren oder Spiegeln sorgt er mit seiner Aktion dafür, dass inzwischen ein
Fleck das Fenster ziert.
Das Klopfen endet erst, als sich der imposante Besucher der
ungeteilten Aufmerksamkeit sicher sein kann.
Was sollte das, was will er, was erwartet er? Es bleiben nur
Spekulationen, denn Verständigung ist unmöglich. Auf beiden Seiten der Scheibe
sind die Voraussetzungen dafür nämlich nicht vorhanden. Keiner hat in der
Sprache des anderen die erforderlichen Kenntnisse.
Deshalb ist das Mittel der Wahl diesseits Interpretation.
Der Klopfer wird vermenschlicht und angesichts von Uhrzeit und Handlung geht
man davon aus, dass ein opulentes Frühstücksbuffet vermisst und klopfstark
eingefordert wird. Dem Vernehmen nach gab es in höher gelegenen Etagen auf der
gegenüberliegenden Seite des Gebäudes bereits Erfolg zu verbuchen. Die dort zur
Verfügung gestellten Keksreste oder Apfelspalten scheinen gemundet zu haben.
Warum, sagte sich die Schönheit wohl, soll ich es also nicht
mal woanders versuchen und sie erwartet offensichtlich ähnlich Wohlschmeckendes,
vielleicht auch Abwechslung auf der
Speisekarte. Nur – in diesem Fall gibt es außer gezückten Smartphones und
Fotoapparaten nichts. Ist die Reaktion Enttäuschung? Es wird jedenfalls ein
Weilchen gewartet. Dann trifft uns noch ein direkter, stechender Blick, auf den
ein sehr gemächliches Umdrehen folgt und die Möwe erhebt sich wieder in die
Lüfte. Über den Dächern der Stadt zieht sie weiter ihre Kreise, mutmaßlich die
Suche nach der ultimativen Frühstücksquelle fortsetzend.
Die Begegnung hinterlässt Fragezeichen bei den Büroinsassen,
Gesprächsstoff und tief in mir Gedanken an Analogien.
Auch unser Leben ist voll von Erwartungen. Ob sie erfüllt
werden oder nicht hängt von so vielen Dingen ab. Werden wir verstanden?
Sprechen wir dieselbe Sprache? Wie, warum und wann missverstehen wir? Wie weit
verlassen wir uns auf Interpretationen, spekulieren über Ursachen und Motive?
Erwarten wir von uns oder anderen genug oder zu viel? Dazu dann noch die Frage, ob wir nach
unerfüllten Erwartungen aufstecken oder beharrlich weiter machen.
Meine Schlussfolgerung: Es wäre hier und da bestimmt nicht
schlecht, ein bisschen möwisch sprechen zu können.
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Copyright: Claudia Georgi
Liebe Claudia, wieder ein Text, der tief berührt und aus einem so kleinen Ereignis entstanden ist :) Wundervoll :)
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