Sonntag, 22. März 2015

Erwartungen



Es klopft. Niemand öffnet. Es klopft erneut.
Wir befinden uns im 8. Stock eines Bürogebäudes und das Geräusch verwundert wegen seines Ursprungs. Normaler Weise assoziiert man doch ein Klopfen mit Kollegen, die Einlass begehren. Dann kommt es aus Richtung der Tür. Dieses aber kommt vom Fenster. Ein Schnabel hinterlässt Spuren an der Scheibe, sein Besitzer macht deutlich auf sich aufmerksam. Wie sonst Kinderhände an Glastüren oder Spiegeln sorgt er mit seiner Aktion dafür, dass inzwischen ein Fleck das Fenster ziert.

Das Klopfen endet erst, als sich der imposante Besucher der ungeteilten Aufmerksamkeit sicher sein kann.
Was sollte das, was will er, was erwartet er? Es bleiben nur Spekulationen, denn Verständigung ist unmöglich. Auf beiden Seiten der Scheibe sind die Voraussetzungen dafür nämlich nicht vorhanden. Keiner hat in der Sprache des anderen die erforderlichen Kenntnisse.
Deshalb ist das Mittel der Wahl diesseits Interpretation. Der Klopfer wird vermenschlicht und angesichts von Uhrzeit und Handlung geht man davon aus, dass ein opulentes Frühstücksbuffet vermisst und klopfstark eingefordert wird. Dem Vernehmen nach gab es in höher gelegenen Etagen auf der gegenüberliegenden Seite des Gebäudes bereits Erfolg zu verbuchen. Die dort zur Verfügung gestellten Keksreste oder Apfelspalten scheinen gemundet zu haben.

Warum, sagte sich die Schönheit wohl, soll ich es also nicht mal woanders versuchen und sie erwartet offensichtlich ähnlich Wohlschmeckendes, vielleicht auch Abwechslung  auf der Speisekarte. Nur – in diesem Fall gibt es außer gezückten Smartphones und Fotoapparaten nichts. Ist die Reaktion Enttäuschung? Es wird jedenfalls ein Weilchen gewartet. Dann trifft uns noch ein direkter, stechender Blick, auf den ein sehr gemächliches Umdrehen folgt und die Möwe erhebt sich wieder in die Lüfte. Über den Dächern der Stadt zieht sie weiter ihre Kreise, mutmaßlich die Suche nach der ultimativen Frühstücksquelle fortsetzend.


Die Begegnung hinterlässt Fragezeichen bei den Büroinsassen, Gesprächsstoff und tief in mir Gedanken an Analogien.
Auch unser Leben ist voll von Erwartungen. Ob sie erfüllt werden oder nicht hängt von so vielen Dingen ab. Werden wir verstanden? Sprechen wir dieselbe Sprache? Wie, warum und wann missverstehen wir? Wie weit verlassen wir uns auf Interpretationen, spekulieren über Ursachen und Motive? Erwarten wir von uns oder anderen genug oder zu viel?  Dazu dann noch die Frage, ob wir nach unerfüllten Erwartungen aufstecken oder beharrlich weiter machen.

Meine Schlussfolgerung: Es wäre hier und da bestimmt nicht schlecht, ein bisschen möwisch sprechen zu können.  


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Copyright: Claudia Georgi

Samstag, 7. März 2015

Kommen - Bleiben - Gehen


Es gibt Phasen in meinem Leben, da bin ich im Sortier-Modus. Nicht nur gegenständlich auch personenbezogen. Die Analogie mag sich bedenklich anhören, fußt aber auf persönlichen  Erfahrungen.
Sortieren bringt Ordnung. Das hilft, mich zu orientieren und fühlt sich irgendwie gut an. Gedanken schweifen, Ideen entstehen und damit schaffe ich Platz für Neues. Befreiend ist das.

Neulich traf der Sortiermodus auf eine Allianz aus Gegenständen und Personen. Da gibt es eine Art Album, in dem man Visitenkarten aufbewahren kann, quasi Zeugnisse verschiedenster Menschen. Adressen, Telefonnummern, Namen und Funktionen auf Papier. Von mir gesammelt in kleinen Einstecktaschen dieses Albums, immer mit dem Gedanken, die Karten noch nutzen zu können.

Indem ich den Inhalt ansah, zogen vor meinem geistigen Auge die Bilder der Menschen hinter den Karten vorbei. Berufliche Begegnungen mit ihnen, Szenen der Vergangenheit, aus einer anderen Zeit, einem anderen Leben. Die meisten der Visitenkarteninhaber waren für mich Abschnitts- oder Phasenbegleiter, die inzwischen längst nicht mehr zu mir gehören. Übriggeblieben von ihnen ist nur das bedruckte Stück Papier. Nun können sie mit ihren Karten gehen, dachte ich mit einer Mischung aus klarer Sicht und diffusen Gefühlen. Ganz allmählich leerte sich das Album und mit jeder verschwundenen Karte verabschiedete ich mich langsam aber sicher endgültig von einem Lebensabschnitt, den ich äußerlich wahrnehmbar schon vor Jahren hinter mir gelassen hatte.

Als setzte ich einen Haken dahinter und folgte nun endlich konsequent meiner Entwicklung. Ich sehe heute klarer denn je hinter die Fassaden von Menschen. Die Visitenkarten gehörten nämlich seinerzeit oftmals solchen, die mir nur deshalb äußerst freundlich begegneten, weil sie meinen Posten sahen. Von ihrer Freundlichkeits-Fassade versprachen sie sich offenkundig Vorteile, betrachteten lediglich meine Funktionen und hatten keinerlei Interesse an der Person, die ihnen begegnete.
Andere wieder sahen und sehen mich als Mensch und nahmen mich auch damals nicht allein wegen meines Postens oder irgendwelcher Inhalte wahr.  
Ich musste alle gleichermaßen professionell-höflich behandeln. Ganz gleich, wie sie sich benahmen oder was ich von ihnen hielt, sie blieben.
Das hat sich geändert. Professionell-höflich bin immer noch. Aber heute kann ich über Kommen, Bleiben und Gehen selbst entscheiden.

So gibt es immer noch Visitenkarten in meinem Album, nur sind es jetzt weit weniger und – ganz andere. 


Copyright: Claudia Georgi